Macht. Doch nichts!

Macht. Doch nichts!

Der Mai ist der Monat der Rituale. Die Arbeiterbewegung erinnert sich an sich selbst, also Vergangenes, die Konzerne bereiten das nächste, noch erfolgreichere Jahr Ihrer ruhmlosen Geschichte vor, die Regierung spart. Und im Fußball redet sich so Mancher Jahr für Jahr um Kopf und Kragen. Macht aber nichts, meint Kai Blasberg.
Ich habe mal für kurze Zeit am Tegernsee gelebt. Wenn ich allmorgendlich das verwirrte Haupt hob, meinte ich zu träumen. Lag doch vor der Gebirgskette am nahen Horizont ein See. In Gänze. Vor mir. Keine Postkarte war je schöner. Ich jedoch konnte das auf Dauer nicht ertragen. Ich gehörte hier nicht hin. ,,Immer glücklich, ist nicht glücklich" wie Pumuckl einmal sagte. Beziehungsweise Hans Clarin. Beziehungsweise Ellis Kraut. Kennen Sie nicht? Tja... .

Mächtige, meist reiche Menschen leben gerne am Tegernsee. Ganz reiche Menschen fahren rund um ihn herum sogar so kleine und alte Autos, dass jeder drüber spricht. Denn wirklicher Reichtum umgibt sich nicht mit Marken. Mit Schein. Mit Insignien. Wirklicher Reichtum ist. Man redet nicht darüber. Man ist indigniert. Über den neuen Reichtum. Der nämlich hat Reichtum und auch das Image von Geld und Besitz über den Galabunte-Effekt, die Heino-Polo-Verferchung und Champagner-Baldessarinisierung nachhaltig negativ markiert. Der alte Reichtum schreibt die Gesetze, der neue palavert darüber. Der alte Reichtum bestimmt alles, der neue faktisch nichts, ist aber vernehmbarer. Im alten Reichtum lebt der Feudalismus, im neuen der Kapitalismus. Durch die Ausstellung über die Öffentlichkeit, die selbstverständlich den alten Reichen gehört, verwechseln die Knechte dieses Schauspiels die verschiedenen Formen von Macht.
Da sitzt zum Beispiel ein deutlich in die Jahre gekommener Ex von einem mittleren mittelständischem Kleinkonzern mit überhöhten Personalkosten und faselt Wirres ins Volk, das dem gerne und eifrig nachhechelt und es findet sich in der Schar der Seibernden immer einer, der dem Gerede wert beimisst, woraufhin bundesweit Gesprächsrunden einberufen werden, um derlei zu besprechen. Der durch die Gazetten Getriebene, der so gerne über deutsche Tugenden in der Oberbekleidung des amerikanischen Modeherstellers Ralph Lauren palavert, fühlt sich erkannt und Wichtig.

Uli fühlt Macht.
Nicht weil er als einfaches Mitglied im Aufsichtsrat sitzt. Dort müsste er ob seiner Entgleisungen zum Rücktritt begleitet werden. Wird er aber nicht. Auch die ,,Opa-erzählt-vom-Krieg"-Attitude wird nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt, fürchtet man doch... . Ja, was eigentlich?
Keine Reaktion auf das vom Altbauern gesagte: und alle Macht ist dahin.
Macht ist nämlich reichlich amoprh. Richtig greif-und fangbar ist sie oft nicht. Macht ist sehr häufig ein Ergebnis von Korrumpierung, von Opportunismus, Hierarchiewille und Gleichgültigkeit. ,,Die da oben...", sie kennen den Spruch. Doch meistens ist Macht eine Vermutung. Eine Bei- und Zumessung, eine Frage des Glaubens. Macht im klugen Sinne ist ein Teil einer Münze, auf deren Rücken die Verantwortung ruht. Macht, in Deutschland wegen diverser Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts in seinem Ruf arg ramponiert und meistens mit ihrem Missbrauch gleichgesetzt, funktioniert richtig aber nur mit der Anerkennung dieser zwei Seiten. Martin Winterkorn wusste nie etwas von diesem Zweiklang, Macht und Verantwortung. Er war von Haus aus Ingenieur und kanzelte auf Messen seine Knechte dieses Berufstandes regelmäßig dafür ab, wenn ihm Spaltmaße nicht ausreichend schienen. Fragen sie nicht, was das sein soll. Es ist allemal eine Petitesse und für den Anführer einer Großorganisation leidlich lachhaft. Später wollte er der größte Autobauer der Welt werden und wies Dinge an, deren Umsetzung Gesetzesbrüche zur Folge hatte. Das wussten die Knechte, während sie es taten, sagen tat indes niemand etwas. Der Kapitän verweigerte die Verantwortung, die Knechte verweigerten ihre Macht. Politiker haben keine. Sie sind Charaktere, denen das ,,dabei-sein" reicht. Mithin tragen Sie auch für Nichts und Niemanden Verantwortung. Politiker organisieren bestenfalls Macht, treten aber in Horden auf. Ihre Macht beschränkt sich auf das Schwadronieren in überbesetzten und inflationär altertümlich verbreiteten Talkbuden und Social-Media-Peinlichkeiten. Dort wird im Sinne der Mächtigen und zur Ablenkung der Machtlosen Sinnloses besprochen. Und dann geht man als Beiwohner des Ganzen mit dem neuen Wissen um die gedrosselte Reichweite des Taurus schlafen.
Meine Mutter machte mich als Kind schon auf die Kläglichkeit der angeblich Mächtigen aufmerksam. ,,Stell Dir den einfach nackt vor" war ihr Prinzip. Ich tat es. Seitdem ist es so bei mir.
Schön ist anders.

Was wäre schon mit der Macht des Kremls, hätte man beizeiten Vladimir so bekämpft wie er seine Gegner?
Wäre China da, wohin wir sie durch Gier und Lüge begleiteten? Wie sähe Amerika aus, würden nicht nur Milliardäre das Land besitzen.
Oder anders gefragt: wann haben Sie sich mal aufgelehnt? Wann haben Sie den Mund aufgemacht, als Sie wussten, sie haben recht und es dient einer größeren Sache? Wann sind Sie mal ins Risiko gegangen, auch mit Reihenmittelhaus und schulpflichtigen Kindern?
Friede Springer war auch oft am See. Oder besser: im Tal, wie man am Tegernsee sagt. Sie hat den Beruf der Verlegerwitwe geschaffen. In einer Generation, nach der Vollendung der Volldigitalisierung, wird man denken, sie habe einem Fliesenleger-Konzern vorgesessen. Es gelang der strengen Hellen aus dem klaren Norden, durch späte, fünfte Heirat ihres siechenden Namensgebers zu einem Milliardenvermögen zu gelangen. Ein Geschäftsmodell, das nicht nur hier zum Tragen kam. Mit freundlichem Gruß nach Gütersloh. Jetzt, auch in die Jahre gekommen, vermachte sie einen Teil ihres Eigentums dem straffen Matze, der wohl das Klischee des Ungeborenen erfüllen soll. Mit 2 Metern und ein paar Zentimetern Körper ein Großverleger im Sinne des Wortes. Der erschien zwar öfter, als es ihm lieb war, wegen allerlei Verfehlungen in der von den echten Reichen so verachteten Öffentlichkeit, doch schadete es ihm allerhöchstens ein paar Wochen. Nachhaltiger ist da schon der Übergang eines eine Milliarde schweren Aktienpaketes, für das sich die Beteiligten entschlossen, nicht die üblichen wie lästigen Abgaben oder Steuern zu entrichten. Jetzt fragt sich der Machtlose: ,,Ja, geht das denn?" Und die Antwort lautet. ,,Ja sicher". Bei den Machtlosen, also den ganz, ganz Vielen, natürlich nicht. Bei denen, die die Regeln schreiben, aber immer. Wo kämen wir denn da hin. Und so erbte, bekam, übernahm, you name it, der große Philanthrop als Angestellter die schon davor höchst zweifelhaft vermachten Werte für Umme. Umsonst. Ohne Abzug für die Gemeinschaft. Beklagt wurde das nur kümmerlich. Im Verlegerreich kratzt die eine Krähe der anderen..., hach, man wird müde.
Macht beginnt im Kopf. Auch am Tegernsee.
Benutzen Sie den Ihren. Und wehren Sie sich.

02.05.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
Kommentare
  • Neuss
    02.05.2024 17:10
    … gut gebrüllt, Löwe … dabei noch treffend analysiert … es gibt nur ein Kai Blasberg … nun ja, du weißt schon … mit dir befreundet zu sein, heißt, von dir Kluges zu erfahren … freue mich die nächste Kolumne …
Schreibe einen Kommentar
Datenschutzhinweis